Systemisch – what`s it?

Grundlagen der Systemtheorie und systemische Prämissen für die Arbeit in Schulen                                                                                                                                     

Schule ist eine dynamische und hoch komplexe „System-Schnittstelle“ zwischen Kindern/Jugendlichen, Eltern und den in Schule tätigen Personen. „Systemisch“ denken und handeln heißt, die einzelnen Menschen als Teil des Gesamtsystems Schule zu betrachten, und sie in ihren wechselseitigen Interaktionen wahrzunehmen (u.a. Lehrkräfte, Schulleitungen, Sozialarbeiter*innen, Schüler*innen, pädagogische und weitere Fachkräfte, Eltern). Diese reagieren in ihrem Denken, Fühlen und Handeln aus ihren Rollen heraus im direkten Kontakt mit den Menschen um sie herum. Dabei werden sie jeweils individuell auch noch von weiteren Personen anderer Systeme außerhalb der Schule wie der eigenen Familie, sozialen Netzwerken und professionellen Helfer*innen sowie kontextuellen Bedingungen wie der Wohn- und Lebenssituation beeinflusst. 

Alles hängt mit allem zusammen und es gibt vielfältige Möglichkeiten aller Beteiligten, auf Entwicklungen Einfluss zu nehmen, Gutes im Miteinander bewusst zu pflegen und Schwieriges konstruktiv zu beeinflussen. 

Systemisches Handeln in komplexen Situationen bedeutet, Probleme und Herausforderungen im Schulalltag in ihrer Komplexität und nicht isoliert zu betrachten. Es geht darum, Muster und Wechselwirkungen von Dynamiken zu erkennen, um so Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, die das gesamte System positiv verändern können. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt dabei auf:

  • der Gestaltung von Beziehungen
  • einer Stärken- und Ressourcenorientierung bei den Menschen und im System
  • der Lösungsorientierung, d.h. anstatt einer Problemfokussierung eine gemeinsame aktive und kreative Suche nach Lösungen 
  • Allparteilichkeit: Verhaltensweisen nicht zu bewerten, sondern deren Funktion im System zu verstehen

Grundsätzliche systemtheoretische Erkenntnisse für die Arbeit mit Menschen

Der systemische Ansatz basiert auf der allgemeinen Systemtheorie, die in den 1940er Jahren von Ludwig von Bertalanffy entwickelt wurde. Sie beschreibt, wie verschiedene Elemente eines Systems miteinander in Wechselwirkung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Systemtheorie, die in den vergangenen Jahrzehnten von zahlreichen Wissenschaftler*innen interdisziplinär weiterentwickelt wurde, steht für eine reflexive und kritische Grundhaltung gegenüber jeglichen Festlegungen menschlichen Verhaltens mit dem Anspruch einer „allgemeinen Gültigkeit“.

Wesentlich sind folgende Einflüsse:

Zirkularität und Wechselwirkungen

In einem System existieren keine linearen Ursache-Wirkung-Ketten, sondern wechselseitige Einflüsse. Ein Verhalten ist nie nur die Folge eines bestimmten Ereignisses, sondern immer Teil eines komplexen Wechselspiels.

Konstruktivismus 

Die Wahrheit besteht aus vielen subjektiven Perspektiven. Der Konstruktivismus, eine erkenntnistheoretische Haltung, beschreibt die Wahrnehmung der Menschen als aktiven Konstruktionsprozess. Menschen nehmen nicht die objektive Realität wahr, sondern erschaffen sich aus dieser ihre eigene Wirklichkeit. Zwei Menschen können dasselbe Ereignis völlig unterschiedlich erleben, abhängig von ihren Erfahrungen, Erkenntnissen, Werten und Normen. 

In der systemischen Arbeit geht es nicht darum, eine „wahre“ Erklärung für ein Problem zu suchen, sondern alternative Sichtweisen zu eröffnen und dadurch neue Möglichkeitsräume zu erkennen. 

Autopoiese 

Jedes lebende System erhält und organisiert sich selbst.Die grundlegende systemische Prämisse ist, dass lebende komplexe Systeme, anders als ein Lichtschalter oder Toaster, nicht direktiv steuerbar sind. Sie besitzen die Fähigkeit zur Selbstorganisation und können sich „nur“ aus sich selbst heraus entwickeln. Veränderungen in komplexen Systemen wie Familien, Klassen, Kollegien, Teams und Netzwerken sind Türen, die von Innen aufgehen -nicht allein durch Regeln, Kontrolle, Vereinbarungen und Leitlinien.

Übertragen auf den Schulkontext bedeutet das: Eine Schule ist mehr als die Summe der Menschen, die in ihr agieren. Sie ist als Gesamtsystem nicht direktiv steuerbar, aber jede einzelne Person kann etwas zur Entwicklung von Schule bei-steuern! 

Kybernetik 2. Ordnung

Bei der Kybernetik erster Ordnung sind Aussagen über etwas, das beobachtet wird, “objektiv”, das heißt, sie sollen unabhängig vom Beobachter sein. Eine Lehrkraft beobachtet das Verhalten eines Kindes im Konflikt mit anderen „von außen“. Im Gegensatz dazu berücksichtigt die Kybernetik zweiter Ordnung den Beobachter als Teil des Systems. Sie betont die zirkuläre Wechselwirkung zwischen Beobachter und System. Somit sind Lehrkräfte, Fachkräfte und weitere professionelle Akteur*innen bei Herausforderungen mit Kindern und Eltern in der Schule Teil des Lösungs- aber auch des Problemsystems. 

Grundsätze eines systemischen d.h. dialogischen, lösungs- und ressourcenorientierten Arbeitens in Schule

  • Jedes Verhalten ist zirkulär – jede Handlung ist zugleich Ursache und Wirkung und beeinflusst das System wechselseitig.
  • Ich kann die Gedanken, Gefühle und das Verhalten eines anderen Menschen nicht kontrollieren, sondern nur mich selbst.
  • Jede Klasse ist ein individuelles System, das sich selbst steuert und eigene Strukturen, Rollen und Regeln entwickelt. Die Klasse ist mehr als die Summe der Schüler*innen.
  • Systeme verändern sich durch Irritation nicht durch Steuerung.
    Eine Stärkung wirkt dann, wenn sie das gewohnte Muster unterbricht. Wenn eine Klasse plötzlich nicht mehr wie gewohnt funktioniert, entsteht ein Moment, in dem echte Veränderung möglich wird.
  • Rekursive Muster: Systeme stabilisieren sich über wiederkehrende Verhaltens- und Beziehungsmuster, die gemeinsam geschaffen und erhalten werden.
    Immer gleiche Konflikte sind eine ungewollte Gemeinschaftsleistung, die nur gemeinsam gewollt gelöst werden kann.
  • Akzeptanz verschiedener Wahrheiten
    Wahrnehmungen und darauf basierende Lebensweisen und Einstellungen sind subjektiv und nicht linear-kausal ableitbar. Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.2
  • Probleme müssen in ihrem Kontext gesehen werden und sind immer auch zugleich Lösungen – das Prinzip des guten Grundes: Welche konstruktive Absicht liegt hinter der destruktiven Handlung?
  • Komplexes Ursache- und Wirkungsverständnis 
    Kontexte (Klassen- und Schulklima, Familienprobleme, Armut, Krankheit, etc..) haben Einfluss und alle Professionellen sind Teil der Lösungs- und des Problemsystems.
  • Kommunikation schafft Beziehung und prägt, wie Menschen sich im System verstehen und verbinden und kooperieren. Wie etwas gesagt wird, beeinflusst, ob Lernende, Kolleg*innen und Eltern sich verstanden und sicher fühlen und damit, ob Zusammenarbeit gelingt.
  • Allparteilichkeit und Respekt gegenüber Menschen, nicht gegenüber ihrem Verhalten
  • Ressourcenorientierung 
    Jeder Mensch trägt Ressourcen und Fähigkeiten in sich. Den Blick konsequent auf gelingende Prozesse richten. Stärken zu stärken statt Defizite hervorzuheben ermöglicht Entwicklung.
  • Beteiligung von Kindern mit Selbstwirksamkeitserleben im Schulalltag und an der Schulentwicklung 
  • Ich bin Viele“ – Menschen haben verschiedene innere Anteile und Facetten, die sich situationsabhängig zeigen:Schüler*innen sind viel mehr als nur Schüler*innen.
  • Wenn etwas nicht funktioniert, mach etwas anders, auch wenn es ungewöhnlich ist
  • Hoffnung/Zuversicht, dass auch in festgefahrenen Situationen Veränderung möglich ist….
  • Kooperation der Akteur*innen ermöglicht Perspektivvielfalt

1 Weitere Informationen finden Sie unter https://dgsf.org/service/was-heisst-systemisch und https://systemische-gesellschaft.de/systemischer-ansatz/was-ist-systemisch/ und https://systemische-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2021/10/SG_Systemischer-Ansatz-und-seine-Praxisfelder.pdf

2 Heinz von Foerster (2006). Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Carl Auer Verlag